Ausgabe 3/2025, Juli
WIdO-Themen
Kranklenhaus-Report 2025: Viele Klinikaufenthalte wären vermeidbar
Pflegebedürftige werden zu häufig ins Krankenhaus eingewiesen. Das zeigt eine Auswertung von AOK-Versichertendaten, die im aktuellen Krankenhaus-Report veröffentlicht wurde.
Schätzungsweise 1,4 Millionen Krankenhauseinweisungen von Pflegebedürftigen pro Jahr wären vermeidbar. Das entspricht etwa 36 Prozent aller Krankenhausfälle von pflegebedürftigen Personen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung zu sogenannten pflegesensitiven Krankenhausaufenthalten (PSK) für das Jahr 2022 auf Basis von AOK-Abrechnungsdaten. Als PSK werden dabei Fälle verstanden, die im Krankenhaus behandelt wurden, aber bei einer besser aufgestellten ambulanten oder pflegerischen Versorgung nicht entstanden wären. Dazu gehören Behandlungsanlässe wie Herzinsuffizienz, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Volumenmangel (Dehydration), Harnwegsinfektionen sowie Diabetes mellitus.
Vermeidbare Krankenhausaufenthalte binden stationäre Kapazitäten und verursachen Behandlungskosten. Sie sind aber noch aus weiteren Gründen besonders problematisch: Zum einen ist eine Behandlung im Krankenhaus für hochaltrige Patienten mit besonderen medizinischen Risiken verbunden, beispielsweise in Form von nosokomialen Infektionen. Zum anderen stellt sie vielfach eine ausgeprägte psychische Belastung dar, auf die manche Patienten mit kognitiven Verschlechterungen reagieren.
Versorgung Hochbetagter im Fokus
Der Krankenhaus-Report 2025 widmet sich den unterschiedlichen Facetten der Versorgung Hochbetagter. Dazu gehören die datenbasierte Aufarbeitung und die Abschätzung des zukünftigen Versorgungsbedarfs. Zusätzlich beleuchten Beiträge die spezifischen Anforderungen, etwa in der Notaufnahme, der intensivmedizinischen oder geriatrischen Versorgung sowie der Palliativversorgung. Der Report greift darüber hinaus spezifische Versorgungsfragen und Managementherausforderungen auf. Außerdem werden die Versorgungsschnittstellen zwischen dem Krankenhaus und anderen Versorgungsbereichen adressiert, unter anderem mit Blick auf vermeidbare Krankenhausaufenthalte. Die Rubrik „Zur Diskussion“ fokussiert mit Beiträgen zu Krankenhausinsolvenzen, Notfallzentren und zur Reform der Krankenhausversorgung weitere relevante aktuelle Themen.

„Wir müssen dafür sorgen, dass nur die Menschen im Krankenhaus behandelt werden, deren stationäre Behandlung nicht vermeidbar ist.“
Dr. David Scheller-Kreinsen, Geschäftsführer und Leiter des Forschungsbereichs Gesundheitspolitik und Systemanalysen im WIdO
Arzneimittel: Neue ATC-Klassifikation 2025
Die Klassifikation für pharmakologische Wirkstoffe liegt jetzt in einer aktualisierten Fassung vor.
Die neue anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation (ATC) mit Tagesdosen (DDD) für den deutschen Arzneimittelmarkt ist im April dieses Jahres erschienen. Sie ermöglicht eine transparente Erfassung der Arzneimittelverordnungen und bildet die Grundlage der amtlichen Fassung der ATC-Klassifikation mit Tagesdosen für gesetzliche Anwendungszwecke gemäß dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch. In Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wurde die amtliche deutsche Fassung ins FHIR-Format überführt, das einen schnellen Datenaustausch unterstützt. Die FHIR-Fassung soll auf dem Terminologie-Server des BfArM bereitgestellt und für die elektronische Patientenakte genutzt werden. Die aktuelle ATC-Klassifikation steht zum Download bereit unter: https://www.wido.de/publikationen-produkte/analytik/arzneimittel-klassifikation/
Qualitätsatlas Pflege: Große Qualitätsunterschiede
Die Versorgungsqualität in stationären Pflegeeinrichtungen variiert regional teilweise erheblich.
Der Qualitätsatlas Pflege liefert neue Daten bis 2023 für die aktuell zehn QCare-Indikatoren auf Basis der AOK-Routinedaten. Ein anhaltendes Problem ist die Dauerverordnung von Benzodiazepinen, Benzodiazepinderivaten und Z-Substanzen, deren langfristige Anwendung mit hohen Gesundheitsrisiken einhergeht. Rund 7,14 Prozent der Pflegeheimbewohner hatten 2023 eine solche kritische Versorgung. Im Viertel der Landkreise mit den geringsten Verordnungsraten waren 2023 höchstens 4,58 Prozent der Pflegeheimbewohner betroffen, im Viertel mit den höchsten Werten lag der Anteil bei mindestens 9,52 Prozent.
Gesundheitsatlas: COPD-Häufigkeit rückläufig
Aktuelle Daten im Gesundheitsatlas Deutschland zeigen einen Rückgang der Lungenerkrankung COPD.
Der Anteil der über 40-Jährigen mit COPD hat zwischen 2017 und 2023 um knapp zehn Prozent abgenommen. Unter Berücksichtigung der veränderten Alters- und Geschlechtsstruktur der Bevölkerung sank die Krankheitshäufigkeit von 7,4 auf 6,7 Prozent. Besonders viele Betroffene gibt es in Nordrhein-Westfalen (8,1 Prozent), besonders wenige in Sachsen und Baden-Württemberg (je 5,5 Prozent). Analysen des Gesundheitsatlas zeigen einen Zusammenhang zwischen der Feinstaubbelastung sowie dem Raucheranteil und der regionalen Häufigkeit von COPD.
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Analysen – Schwerpunkt: Soziale Ungleichheit
Soziale Ungleichheit und Gesundheit
Siegfried GeyerViele Erkrankungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen können durch Verhalten, Lebens- oder strukturelle Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Für eine große Zahl von ihnen lassen sich soziale Ungleichheiten feststellen. Die Zusammenhänge folgen meist einem sozialen Gradienten. Das heißt: Je höher diePosition, desto niedriger das Erkrankungsrisiko. Solche Zusammenhänge wurden beispielsweise für Typ-2-Diabetes, Herzinfarkt, Adipositas, Depression, Angststörungen, subjektive Gesundheit sowie für Sterblichkeit an allen Todesursachen berichtet. Die relative Stärke der Effekte der gängigen Indikatoren – vornehmlich Einkommen, Berufsposition und Bildungsgrad – variiert nach der Art der betrachteten Erkrankung. Die Indikatoren können dabei im Hinblick auf ihren Inhalt nicht gegeneinander ausgetauscht werden. Die Mehrzahl der empirischen Studien hat ein Querschnittsdesign. Wenn inter- oder intragenerationale Wechsel zwischen sozialen Positionen betrachtet werden, zeigt sich: Aufwärtsmobile weisen niedrigere Risiken für gesundheitliche Beeinträchtigungen auf als Individuen aus der Herkunftsschicht oder als Abwärtsmobile. Es gibt jedoch auch Konstellationen, die sich für Aufwärtsmobile als gesundheitlich nachteilig erwiesen haben.
Zum Zusammenhang sozialer Ungleichheit mit Pflegerisiken und Lebenserwartung
Johannes Geyer und Peter HaanSoziale Ungleichheit und Gesundheitsrisiken sind deutlich korreliert. Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status sind systematisch höheren Gesundheitsrisiken ausgesetzt, die sich in einer höheren Prävalenz chronischer Erkrankungen, Multimorbidität, einem höheren Pflegerisiko und einer niedrigeren Lebenserwartung zeigen. Dieser Zusammenhang manifestiert sich nicht erst bei Formen extremer Armut. Gesundheitliche Risiken nehmen auch nicht nur mit dem Alter zu, sondern werden entscheidend durch die Gesellschaft, den sozialen Status und die Arbeitswelt beeinflusst. Politisch folgen daraus unterschiedliche Handlungsbedarfe. So ergeben sich aus diesen Zusammenhängen zusätzliche Argumente für den sozialen Ausgleich in den Sozialversicherungen oder für eine stärkere Umverteilung durch das Steuer- und Transfersystem. Gleichzeitig wird deutlich, dass sozialer Ausgleich noch stärker präventiv gedacht werden sollte, da Versicherungssysteme wie Rente oder Pflege nur (teilweise) ausgleichend umverteilen können.
Gesundheitliche Ungleichheiten in Bezug auf Bewegung
Paqter Gelius, Sven Messing, Karim Abu-Omar und Klaus PfeiferDie Bestandsaufnahmen für Bewegungsförderung in Deutschland des Bundesministeriums für Gesundheit zeigen, dass viele Menschen sich nicht ausreichend bewegen, obwohl die gesundheitsförderlichen Effekte von körperlicher Aktivität gut belegt sind. Dabei bestehen wichtige Unterschiede auf Basis von Alter, Geschlecht und sozioökonomischem Status. Hintergrund sind oft schlechtere strukturelle Chancen bestimmter Bevölkerungsgruppen, sich aktiv zu verhalten. Diese gesundheitlichen Ungerechtigkeiten stellen Politik und Praxis vor die Aufgabe, für mehr Chancengleichheit im Bereich Bewegung zu sorgen. Die Bestandsaufnahmen zeigen, dass in Deutschland hierfür zwar innovative Interventionsbeispiele existieren, dass diese jedoch einer flächendeckenderen Implementierung bedürfen. Aspekte der gesundheitlichen Chancengleichheit bei aktuell routinemäßig stattfindenden Maßnahmen der Bewegungsförderung sind häufig noch unzureichend untersucht. Verschiedene politische Initiativen auf Bundesebene bilden zwar einen allgemeinen Rahmen für die Bewegungsförderung, doch sollte auch hier das Thema soziale Ungerechtigkeit künftig stärker berücksichtigt werden. Zudem sind bislang weniger beachtete Arten von Benachteiligung stärker zu erforschen und zu thematisieren. Dabei geht es auch um Bewegungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen oder für LSBTIQ*-Personen.