Ausgabe 1/2025, Februar
WIdO-Themen
Gesetzliche Krankenversicherung: Preisanstieg bei Medikamenten
Die Ausgaben für Arzneimittel haben 2023 einen Rekordwert von 54 Milliarden Euro erreicht – ein Anstieg von 74 Prozent in zehn Jahren. Eine wesentliche Ursache dafür sind die Preise patentgeschützter Medikamente.
Die Arzneimittelausgaben wuchsen deutlich stärker als das deutsche Bruttoinlandsprodukt (40,2 Prozent). Zwar sank der Anteil patentgeschützter Arzneimittel an den verordneten Tagesdosen zwischen 2014 und 2023 von 11,4 auf 6,7 Prozent, doch der durchschnittliche Packungspreis stieg gleichzeitig um über 200 Prozent auf 587,72 Euro. Hochpreisige Medikamente machten 2023 mehr als die Hälfte der Gesamtausgaben aus. Im generikafähigen Markt fiel die Preissteigerung mit 31 Prozent wesentlich moderater aus.
Besonders auffällig ist der wachsende Umsatzanteil hochpreisiger Arzneimittel mit Packungspreisen ab 1.000 Euro. Ihr Anteil verdoppelte sich innerhalb von zehn Jahren von 27,6 auf 47,6 Prozent, während sie lediglich 1,5 Prozent aller Verordnungen ausmachten. Ähnliche Trends zeigen sich auch bei Medikamenten mit Preisen über 5.000 Euro.
Gesetzliche Maßnahmen wie das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zielen darauf ab, den Kostenanstieg zu bremsen. Die Effekte sind begrenzt. Der Markt für innovative Arzneimittel wächst weiter. Deren Preise werden zu einer zunehmenden Belastung für das Solidarsystem. Ohne strengere Regulierungen drohen wichtige therapeutische Fortschritte für viele Versicherte unerschwinglich zu werden. Eine Anpassung des regulatorischen Rahmens ist dringend erforderlich, um eine nachhaltige und bezahlbare Versorgung sicherzustellen.

Heilmitteltherapien: Neues Rekordhoch
Die Kosten der Heilmitteltherapien von AOK-Versicherten haben sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. Für AOK-Versicherte wurden 2023 Heilmitteltherapien im Wert von etwa 4,4 Milliarden Euro abgerechnet. Der aktuelle Heilmittelbericht des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt, dass nicht die Anzahl der Patientinnen und Patienten, sondern insbesondere die gestiegenen Behandlungspreise diesen Ausgabenrekord erklären. Eine podologische Verordnung ist mit durchschnittlich 156 Euro vergleichsweise günstig, dafür nahm aber in diesem Bereich das Verordnungsvolumen mit 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr am stärksten zu. Das liegt auch an 2022 neu eingeführten Maßnahmen, wie der Befunderhebung oder der Nagelspangenbehandlung. Der Umsatzanteil dieser neuen Maßnahmen lag 2023 bei 10,2 Prozent.
Pflege-Report 2024: Pflege regional betrachten
Zwischen 2017 und 2023 stieg die Zahl der Pflegebedürftigen um 57 Prozent. Die Herausforderungen für eine qualifizierte, wohnortnahe Versorgung sind gewaltig.
Die geburtenstarken Jahrgänge der sogenannten Babyboomer-Generation werden älter. Der aktuelle Pflege-Report 2024 widmet sich dieser Entwicklung unter dem Titel „Ankunft der Babyboomer: Welche Pflegestrukturen sind zu gestalten?“.
Wie wichtig dabei eine verlässliche Pflegestrukturplanung vor Ort ist, unterstreichen die Analysen der AOK-Abrechnungsdaten: Die Häufigkeit von Pflegebedürftigkeit reichte 2023 je nach Kreis von 3,4 bis 17,1 Prozent der gesetzlich Versicherten. Nur in wenigen Kreisen entsprach der Anstieg der Pflegeprävalenz dem, was aufgrund der Alterung der Gesellschaft zu erwarten gewesen wäre. Deutliche regionale Unterschiede gab es auch bei der Inanspruchnahme von pflegerischen Leistungen. Die WIdO-Analysen zeigen: Neben demografischen Faktoren sind weitere Merkmale der Kreise, wie der Demenzanteil oder siedlungsstrukturelle Faktoren, von Bedeutung und müssen bei der kommunalen Planung zukunftsfähiger Pflegestrukturen berücksichtigt werden.
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Analysen – Schwerpunkt: Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)
DiGA: Status, Akteure und Zukunft der digitalen Versorgung
Till J. Winkler und Daniel FürstenauDie digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) haben das deutsche Gesundheitssystem zu einem der Vorreiter in der Integration von digitalen Therapeutika in die Gesundheitsversorgung gemacht. Seit ihrer Einführung mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz im Jahr 2019 ermöglichen mittlerweile über 50 verschreibungsfähige „Apps auf Rezept“ Patienten therapeutische Interventionen für eine Vielzahl von Krankheitsbildern, und ihre Verordnungszahlen steigen kontinuierlich. Dieser Beitrag analysiert den Markt der DiGA und beleuchtet die unterschiedlichen Perspektiven, die die Politik, die Krankenkassen, die Behandelnden, die Patienten und die Pharmaindustrie in Bezug auf DiGA einnehmen. Die Analyse schließt mit drei Handlungsfeldern. Sie betreffen die Preisgestaltung, die weitere Integration von DiGA in die Versorgung sowie die Ausweitung der DiGA-Erfahrungen auf Pflege- und Präventionsanwendungen
Wissenschaftliche Evidenz und Kosten von DiGA
Nikolas Dietzel, Michael Zeiler und Peter L. Kolominsky-RabasSeit Beginn der Versorgung durch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) stehen zwei Themen im Zentrum der Diskussion zwischen den beteiligten Akteuren: die wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit sowie Kosten und Preisgestaltung. Während alle dauerhaft zugelassenen DiGA höchste Evidenzstandards bei der Wahl des Studiendesigns für den Wirksamkeitsnachweis erfüllen, äußert sich Kritik an der methodischen Qualität der Zulassungsstudien. Untersuchungen der Kosten im Verhältnis zur Wirksamkeit sind hingegen bisher kaum vorhanden. Die bereits durchgeführten Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Kritisch gesehen wird die Vergütung vorläufig zugelassener DiGA ohne vorliegende Evidenz sowie die im ersten Erstattungsjahr freie Preisgestaltung durch die Hersteller. Aus diesem Grund wird von verschiedener Seite für alternative Modelle der Preisfestsetzung plädiert. Im Rahmen der Zulassung sollte sichergestellt werden, dass die Zulassungsstudien verzerrungsfrei durchgeführt werden und international gültigen Standards der evidenzbasierten Medizin entsprechen. Zudem besteht eine Forschungslücke hinsichtlich von Kosten-Wirksamkeits-Studien, die es zu schließen gilt, um eine bessere Einschätzung der ökonomischen Rahmenbedingungen zu ermöglichen.
Digitale Anwendungen bei generalisierter Angststörung
Heidi Stürzlinger, Richard Pentz und Anja LaschkolnigDigitale Anwendungen im Bereich psychische Gesundheit versprechen Betroffenen einen niederschwelligen Zugang und positive Effekte. Ein Health Technology Assessment untersuchte digitale Interventionen (DI) zur Behandlung der generalisierten Angststörung (GA). Die 23 aufgefundenen randomisierten kontrollierten Studien untersuchten zumeist Interventionen, die auf Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie basieren. Metaanalysen zeigten mittelstarke positive Effekte dieser Interventionen, verglichen mit einem Zustand ohne Behandlung bei GA-Symptomatik, Lebensqualität und Alltagsfunktionen. Die Ergebnissicherheit wurde durch die in allen Studien fehlende Verblindung eingeschränkt. Studien zu anderen DI oder zum Vergleich zwischen verschiedenen DI lieferten keine Anhaltspunkte für Unterschiede im Nutzen. Wenig Daten gab es zu unerwünschten Effekten von DI. Nicht untersucht wurde die Wirksamkeit von DI im Vergleich zu Psychotherapie oder medikamentöser Therapie. DI können Betroffenen zur Überbrückung von Engpässen bei Psychotherapie helfen, allerdings bestehen individuelle Unterschiede hinsichtlich Präferenzen und Erreichbarkeit. Weitere Forschung sollte das Schadenspotenzial von DI und ihren Nutzen im Vergleich zu Psychotherapie bewerten.
Stellschrauben für erfolgreiche Governance-Strukturen bei DiGA
Matthias Arnold, Friederike Hasse, Malte Haring und Volker AmelungObwohl das deutsche Gesundheitswesen bislang wenig digitalisiert ist, sind die hiesigen digitalen Gesundheitsanwendungen eine Weltpremiere. Im Zusammenhang mit der anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung stellen sich Fragen, die einer Lösung harren. Diese betreffen einige implizite Grundannahmen, die Rolle sogenannter patient-reported outcome measures sowie Anforderungen an die den Erfolg messenden Personen. Der Beitrag gibt vier Handlungsempfehlungen, wie im deutschen Gesundheitswesen weiter mit DiGA verfahren werden sollte.
Zusatzanalyse
Rolle und Verbreitung von privaten Pflegezusatzversicherungen
Dietmar HaunEine private Pflegezusatzversicherung hat die Funktion, eine Finanzierungslücke für den Pflegefall im Alter zu schließen und das Vermögen zu sichern. Die Nachfrage nach den Policen ist jedoch trotz des zunehmenden Risikos gering. Nicht mehr als fünf Prozent der Pflegeversicherten in Deutschland verfügen über eine kapitalgedeckte Pflegezusatzversicherung. Nach den empirischen Analysen dieses Beitrags ist die Verbreitung dieser Versicherungen überwiegend auf wohlhabende Bevölkerungsgruppen und die privat Pflegeversicherten konzentriert. Die Verbreitung in vulnerablen Bevölkerungsgruppen ist hingegen rudimentär. Das Bestreben, private Pflegeversicherungen mit steuerlicher Förderung zur Lösung der Finanzierungsdefizite in der sozialen Pflegeversicherung einzusetzen, ist mit Skepsis zu betrachten. Zumindest bei einem Versicherungskonzept auf freiwilliger Basis würde eine höhere Förderung dieser Versicherungsangebote in erster Linie einkommens- und vermögensstarken Personen zugutekommen.